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09Jun

Arbeitspapier der AG Kultur und Nachhaltigkeit für die Sitzung der BAG Kultur am 13.11.2010

Die AG Kultur und Nachhaltigkeit ist eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe, die auf dem BAG-SprecherInnentreffen am 19.02.2010 in Berlin offiziell angemeldet wurde. Es gibt mittlerweile ein AG-internes Internetforum. Teilnehmer der AG haben sich bisher zwei Mal getroffen.

Das vorliegende Arbeitspapier ist an die BAG Kultur adressiert und hat entsprechende Schwerpunkte. Es versteht sich als ein erster Aufschlag mit Vorschlägen zur Weiterarbeit. Autoren: v.a. Thore Debor, Eva Leipprand, Adrienne Goehler.

„Kultur“ wird in diesem Papier in zweierlei Bedeutung verwendet. Im weiteren Sinne ist Kultur zu verstehen als die Gesamtheit von Religion, Wissenschaft, Kunst, Moral, Gesetze, Gewohnheiten und Gebräuchen, die der Mensch als Teil einer Gesellschaft erlernt und auch an die nächsten Generationen weitergibt. Kultur im engeren Sinne (die Künste) liefert die Bilder, Erzählungen, Musik, auch Design und Architektur, mittels derer die kulturellen Codierungen geschaffen, erhalten oder verändert werden können. Hier entstehen und vergehen die Symbole und Wertsysteme, die Normen, die unsere Gesellschaft bestimmen.

 

Politik für eine Kultur der Nachhaltigkeit

Wir befinden uns inmitten einer Transformationskrise des Kapitalismus. Gegenwärtig geht es um die Frage, wie die Weichen in Richtung Zukunft gestellt werden können.

Die – von der Grünen Partei angestrebte – Idee des „Green New Deal“ kann eine Antwort auf die Doppelkrise von Wirtschaft und Umwelt sein. Übergeordnetes Ziel muss dabei sein, eine wirksame Wandlung  zu einer Green Economy mit einer nachhaltigen Ökonomie, mehr Chancengleichheit und sozialer Teilhabe herbeizuführen. Für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Gesellschaft ist aber zugleich eine umfassende Kulturwende nötig, die sich in einer gezielten Politik für eine Kultur der Nachhaltigkeit manifestiert. Kultur im weiteren Sinne (nach Heidbrink’schen1 Sichtweise von menschlicher Kultur als „Steuerprogramm der Gesellschaft“) ist dabei als vermittelnder Kern zu betrachten, der zwischen Wirtschaft, Soziales und Umwelt geschaltet ist und diese drei Bereiche eines Gemeinwesens jeweils beeinflusst.

Das kulturelle Steuerungsprogramm der Industriegesellschaft ist stark von der Konsumkultur geprägt, die uns in die Krisen der Gegenwart geführt hat. Es kommt darauf an, die Konsumkultur nicht als naturgegeben, sondern als „gemacht“ und damit als gestaltbar zu erkennen. Diese Möglichkeit zur Veränderung unseres kulturellen Steuerungsprogramms in Richtung einer nachhaltigen Lebensweise ist jedoch eine enorm schwierige Aufgabe. Viele halten die „Kulturelle Evolution“ für die Front, an der über das Überleben der Menschheit entschieden wird. Wir brauchen eine groß angelegte Transformation gesellschaftlicher Werte und Handlungsmuster.

Zur Weiterarbeit: Es wäre ein Katalog von nicht-nachhaltigen Werten und Handlungsmustern (z. B. ständiger Wettbewerb, sozialer Vergleich, Statuskonsum) und nachhaltigen Werten und Handlungsmustern (z. B. Entschleunigung, Arbeit für gemeinsame Ziele, lokale Wirtschaftskreisläufe, Gerechtigkeit, Verwirklichung der eigenen Person, Kreativität) zu erstellen. Daraus wird deutlich, wo und warum wir uns in die falsche Richtung bewegen, aber auch, wie ein Wandel aussehen kann und was er uns bringt.

Wie kann sich ein solcher kultureller Wandel vollziehen? Die gute Nachricht allenthalben lautet: er ist längst im Gange. Überall auf der Welt gibt es unzählige Initiativen – in der Zivilgesellschaft, in den Unternehmen, in Wissenschaft und Politik – die an dieser Transformation arbeiten und dafür neue Wege austesten. Diese Initiativen sind von großer Bedeutung als Modelle und Vorbild, auch als Impuls. Die Bewegung von untern wird aber nicht ausreichen, um einen solchen Wandel rasch und in der nötigen Breite zu bewirken. Es ist auch Regierungshandeln erforderlich.

Was kann die Politik zu einem kulturellen Transformationsprozess beitragen? Bündnis 90/DIE GRÜNEN haben sich mit ihrem Bundestagswahlprogramm 2009 – „Der Grüne neue Gesellschaftsvertrag“ – bereits klar positioniert. In diesem Programm wird der Übergang in eine nachhaltige Gesellschaft schon vorgezeichnet. Dies kann nur in Verbindung mit einem  kulturellen Wandel erfolgen, der in verschiedenen Politikfeldern noch deutlicher formuliert werden muss.

Zur Weiterarbeit: Es wäre ein Katalog von Möglichkeiten aufzustellen, mit denen die Politik – in Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Akteuren – eine Kultur der Nachhaltigkeit als soziale Norm stärken kann (z. B. auf klare Botschaften achten; bestehende Anreizstruktur überprüfen, z.B. Abwrackprämie; Zivilgesellschaft und partizipatorische Prozesse stärken; neue Arbeitzeitmodelle fördern etc.; das Bildungswesen auf nachhaltige Kompetenzen ausrichten; die Botschaften der Werbung überprüfen und evtl. über Einschränkungen nachdenken; das Lebensumfeld der Menschen so gestalten, dass es selbstverständlich, „natürlich“2 ist, sich möglichst nachhaltig zu verhalten). Die Kommune wird hierbei eine wichtige politische Plattform sein. Kommunale Kulturpolitik steht vor neuen Aufgaben, die eine intensive Einbindung möglichst vielfältiger Akteure und komplexe Moderationsprozesse erfordern.

In der gesamten Debatte, in der es auch um die Gestaltung und Prägung von kulturellen Bildern und Praxen geht, sollte das häufig verwendete Verzichtsmoment aufgegriffen und umgedreht werden. Eine Kultur der Nachhaltigkeit hat keineswegs zwingend den Verzicht von Lebensqualität zur Folge. Im Gegenteil: Viele Menschen suchen schon heute ein erfülltes Leben ohne den ständigen Druck des ständigen Mehr, sie wünschen Stabilität, Sicherheit vor Krisen, Reichtum in Beziehungen und Entfaltung ihrer Kreativität. Und auch das Bewusstsein, nicht länger auf Kosten anderer zu leben.

 

Stand 11.11.2010


1           „Nicht der Mensch als einzelner Akteur ist ursächlich für die destruktive Dynamik der Industriegesellschaft verantwortlich, sondern die ‚menschliche Kultur’, die als Rahmensystem und Hintergrundinformation ökologisch relevante Entscheidungsprozesse in einer schwer kontrollierbaren Weise beeinflusst. Die moderne Kultur wirkt als autonomes ’Steuerungsprogramm’ auf das menschliche Handeln ein und sorgt dafür, dass Akteure gemeinsame Ziele verfolgen, ohne sich der kollektiven Orientierung dabei unmittelbar bewusst zu sein.“ (Ludger Heidbrink, „Dritte Industrielle Revolution?“ Umsteuern durch Umdenken – Ein Plädoyer für kulturelle Anpassung. In: Die Dritte Industrielle Revolution – Aufbruch in ein ökologisches Jahrhundert. Hg. BMU 2008)

2              State of the World 2010

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Kommentare

  1. Rainer Sagawe26. Oktober 2013

    Zu kurz gesprungen!

    Liebe Mitgrüne: leider sprechen die Erkenntnisse der letzten Zeit eine andere Sprache: 40 Jahre Club of Rome: Die Wende zur Nachhaltigkeit ist vertan, wir fahren ungebremst vor die Wand.
    Ebenso Prof. Emmot: 10 Milliarden:
    Er listet einfach nur auf: alle relevanten Umweltparameter weisen nur in eine Richtung: exponentielle Übernutzung aller ökologischen Systeme. Für einen geregelten Übergang zu einem nachhaltigen Lebensstil ist es zu spät.

    Die Kunst ist, davor nicht die Augen zu verschliessen. Eine
    Tiefenökologin wie Joanna Macy kann uns lehren, mit diesem Tatbestand umzugehen.
    Erst wenn wir uns den Ernst der Lage ungeschminkt eingestehen, sind wir in der Lage zu trauern und durch die Trauerarbeit eine gemeinsame Kraft zu entwickeln.

    Wir sehen die Titanic auf den Eisberg Kurs nehmen, aber das Ruder klemmt und der Steuermann kann es allein nicht herumreißen. Noch stehen alle wie gelähmt herum und starren mit offenem Mund auf den Eisberg. Wann endlich helfen wir dem Steuermann, greifen mit ins Ruder und ändern den Kurs?

    Der Kurs kann heißen: Radikale Nachhaltigkeit heute sofort leben. Kein Fleisch mehr. Möglichst nur zu Fuß, mit dem Fahrrad und Öffis fahren. Haus zum Energielieferanten machen. Elektofahrrad selbst aufladen. Jeden Quadratmeter nutzbaren Boden für eigenen Versorgung anbauen – am besten mit Terra Preta Schwarzerde. Heizungen so umbauen, dass sie nebenbei aus Holzhackschnitzeln Holzkohle herstellen. (siehe Pilotprojekt TerraBoga, Berlin). Diese dauerhafte Holzkohle belebt und gesättigt durch Fermentation in den Boden einbringen und so fruchtbaren CO2-reduzierenden Dauerhumus erzeugen.
    Ein Terra Preta Klo bauen, eigene Ausscheidungen nutzen über Terra Preta Fermentation zur Fruchtbarmachung des eigenen Gartens.
    Tauschringe gründen, Nachbarschaftshilfen intensivieren, Konsum radikal reduzieren, Nachbarschaft, Freundschaft, Kollegialität, Solidarität radikal ausbauen und praktizieren – funktionierende und Strahlkraft entfaltende Modelle dieser Art entwickeln und leben und kommunizieren – die nächsten Krisen garantieren dann einen Fukushima Effekt –
    der nächste könnte sein: eine radikale Abkehr vom Fleischverzehr – fast alles Fleisch – bis auf Biofleisch – ist produziert mit genverändertem Soja.
    Entscheidend aber wird sein: Ein neuer Aspekt vom Leben in Bescheidenheit aber in Freiheit, Selbstbestimmung und Würde und Mitmenschlichkeit. Wenn das ausstrahlt, ist das Weg, der über den unweigerlich bevorstehenden Untergang dieser Konsum-Zivilisation hinausweisen kann.

    Rainer Sagawe,
    Hameln

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