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15Sep

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundestagswahlprogramm 2009: Aus der Krise hilft nur Grün

Auszüge Kultur und Medien:

12. Vorsicht Kultur! – Kreativität als Stein des Anstoßes

Die Neuorientierung des Neuen Gesellschaftsvertrags ist auch eine kulturelle Aufgabe. Kultur und Kunst sind ein wichtiger Bestandteil des Lebens – sinnhinterfragend und sinnstiftend; ob aktiv oder im Publikum, ob als Hip-HopperIn, PunkerIn oder als Opernfan, als TheaterbesucherIn oder FilmliebhaberIn. Kultur und Kunst ermöglichen uns einen neuen Blick auf die Dinge, auf die Welt. Kunst und Kultur finden sich in Museen, Theatern oder Kinos und auch in Lebensformen und Lebensstilen, in Sub- und Jugendkulturen, in Architektur, Mode, Essen und vielem mehr.

Kultur und Kunst brauchen Freiheit. Sie sind eigenartige und störrische Wesen. Sie müssen vor staatlicher Bevormundung und vor ökonomischer Vereinnahmung geschützt werden. Kulturelle Vielfalt, künstlerische Freiheit, und der Zugang zu kultureller Bildung sind zentrale Voraussetzungen für Freiheit und Selbstbestimmung. Sie dürfen nicht vereinnahmt werden, schon gar nicht von institutioneller Politik oder wirtschaftlichen Interessen. Standpunkte und Erfahrungen werden experimentell verändert und neu zusammengefügt. Insofern sind Kultur und Kunst hoch politisch und geben wichtige Impulse für die Entwicklung des politischen Denkens und Handelns und für die Selbstverständigung einer Gesellschaft. Sie dürfen keiner Beschränkung unterliegen.
Besonders in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs, wie sie sich mit der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise seit 2008 für jede und jeden erschließen, brauchen wir die Ideen, Botschaften und Wahrnehmungshilfen von Kultur und Kunst sowie Kulturschaffende und Kreative, die uns sagen: Es gibt noch andere Wege, als die, die wir kennen. So kann Kreativität neue Grundlagen zur gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Erneuerung hervorbringen. GRÜNE Politik sieht deshalb Kultur und Kunst nicht im »Dienst des Bestehenden«, sondern auch als »Stein des Anstoßes«, als Kräfte des gesellschaftlichen Wandels und der notwendigen Veränderungen.
Die Frage nach unserer Zukunft verbindet Kultur und Nachhaltigkeit. Weil die Frage wie wir leben und wie wir leben wollen vor allem auch eine Frage der Kultur ist, ist der Wechsel zu einer ökologisch verantwortlichen Lebensweise auch eine Frage von Kunst, Kultur, Kreativität und Kulturpolitik.
Aus all diesen Gründen ist eine Stärkung kultureller Räume individuell wie gesellschaftlich so wichtig. Die Erhaltung und Schaffung der kulturellen Infrastruktur aus Jugendzentren, Ateliers, Proberäumen, Stadttheatern, Aufführungs- und Ausstellungsorten ist ein wichtiges Ziel einer Strategie der öffentlichen Institutionen und des öffentlichen Raums – ob in staatlicher Trägerschaft, durch die Förderung privater, selbstorganisierter Initiativen oder soziokultureller Zentren. Dies wollen wir auch mit Investitionen erreichen, die dann dauerhaft die kulturelle Infrastruktur erhalten und finanzieren können. Wir setzen uns ein für die Öffnung der kulturellen Einrichtungen und ermutigen auch Ehrenamtliche zur Mithilfe bei der Vermittlung von Kunst und Kultur in alle Bereiche der Gesellschaft.
Wir stehen zum Abkommen der UNESCO zum Schutz der kulturellen Vielfalt und halten weiterhin an der Überzeugung fest, dass Kultur weit mehr ist als ein Wirtschaftsgut. Kulturelle Vielfalt ist eine Quelle kreativer Erneuerung und eine Ressource für die Zukunft.
Notwendig ist eine finanzielle Stärkung der Kommunen bei der Wahrnehmung ihrer Kulturaufgaben ebenso wie die Förderung künstlerischer Initiativen. Die Verankerung des Staatsziels Kultur im Grundgesetz wird zur Stärkung der Kultur auf allen Ebenen beitragen. Öffentliche Institutionen wie Bundeskulturstiftung und Hauptstadtkulturfonds zeigen, dass Förderung und Unterstützung auch jenseits der großen Kultureinrichtungen zahlreichen künstlerischen Akteuren zukommen kann. Das wollen wir weiter ausbauen. Erforderlich ist deshalb ein barrierefreier Zugang für Alle zu Kultur und Kunst. Die Teilhabe am kulturellen Leben von Menschen mit und ohne Behinderungen soll ohne bauliche oder kommunikative Barrieren zum Standard werden.

Kultur für Stadt und Land

Kultur ist Lebensqualität. In großen Städten wie auch auf dem Land sind öffentliche Kultureinrichtungen bedroht. Jugendhäuser, Kinos und Kulturinitiativen wurden geschlossen oder stehen vor dem Aus. Die kulturelle Infrastruktur in Deutschland bröckelt schon heute an allen Ecken und Enden, nicht nur in der baulichen Substanz. Dabei ist der Verfall langsam, schleichend und meist auch ziemlich geräuschlos. Wir setzen uns für eine lebendige Kultur ein und dafür, dass keine Region im Zuge des demografischen Wandels kulturell abgehängt wird. Die Balance zwischen den unterschiedlichen Kulturen, Angeboten und Institutionen muss deutlicher austariert werden. Der zunehmenden Verödung der Innenstädte setzen wir die Idee einer Stadtkultur entgegen, die auf öffentliche Räume, Vielfalt und Begegnung setzt. Dörfer und der ländliche Raum dürfen nicht zu Zonen der kulturellen Ödnis werden. Gerade junge Menschen dürfen nicht an den Rand gedrängt werden, sondern brauchen öffentliche Räume für ihre Kreativität. Im Hinblick auf steigenden Rechtsradikalismus und zunehmende Gewalt unter Jugendlichen bedeutet die Bereitstellung und stärkere finanzielle Förderung von kulturellen Angeboten eine notwendige soziale Prävention und ist damit eine nachhaltige Investition.
Zukunftsfähige Stadtpolitik hängt stark von der Entwicklung der Kreativitätspotenziale vor Ort ab. Ein tolerantes, vielfältiges Klima, in dem sich unterschiedlichste kulturelle Impulse gegenseitig bereichern, macht eine Stadt oder eine Region attraktiv. In Städten hat sich die Förderung der kreativen Branchen oft als ein wichtiger Motor der Stadtentwicklung erwiesen. Wir GRÜNE wollen eine Stadt, in der innerstädtisches Wohnen, phantasievolle Umnutzungen im Gebäudebestand, Denkmalschutz, die Rückeroberung von Industriebrachen, die Gestaltung öffentlicher Räume und baukulturelle Qualitäten in den Vordergrund rücken. Dazu gehört aber auch die Förderung kreativer Kleinstbetriebe. Ziel muss es sein, die Lebensqualität für die Menschen zu erhöhen und den Kreativen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Hiervon profitieren wir alle. Kreative Stadtpolitik ist nicht an Stadtgrößen gebunden und muss nicht auf Großstädte oder gar Metropolregionen fokussiert sein.

Kulturschaffende stärker in den Blickpunkt nehmen

Kulturschaffende in Deutschland brauchen angemessene steuerliche und rechtliche Rahmenbedingungen. Ihre soziale Lage muss verbessert und künstlerischer Nachwuchs vielfältig gefördert werden. Wir wollen mehr soziale Sicherheit für die unterschiedlichsten Beschäftigungen und Arbeitsverhältnisse in der Kultur schaffen – ob im Kulturbetrieb, in der Kreativwirtschaft, für Selbstständige oder abhängig Beschäftigte, ob für unstetige Beschäftigung oder im Praktikum. Bei der Einführung der Bürgerversicherung wollen wir die Prinzipien der Künstlersozialversicherung erhalten.

Kultur für alle

Kunst und Kultur müssen für alle Mitglieder unserer Gesellschaft erreichbar sein – unabhängig von sozialer Stellung, kultureller Herkunft oder jedweder Behinderung. Barrieren gibt es viele. Für die einen sind es die hohen Eintrittsgelder oder -gebühren für die anderen unüberwindliche Schwellen, kontrastarme Beschriftungen, nicht verständliche Sprache bei den Beschreibungen und anderes mehr. Wir wollen für diese Probleme sensibilisieren und setzen uns dafür ein, dass im Kunst- und Kulturbetrieb wo immer möglich Barrieren abgebaut werden.

Kulturelle Bildung

Kulturelle Bildung ist eine wesentliche Aufgabe von Kultur und Bildungspolitik. Jeder Mensch, gleich welchen Alters, hat das Recht auf Entfaltung einer eigenständigen Persönlichkeit. Jedes Kind hat darüber hinaus ein Anrecht auf kulturelle Bildung. Kinder und Jugendliche müssen die Chance erhalten, ihre kreativen Fähigkeiten zu spüren und zu nutzen und auf diese Weise Selbstachtung und Anerkennung zu gewinnen. Dabei kommt der interkulturellen Kulturarbeit eine besondere Bedeutung für das Zusammenleben in der multikulturellen Gesellschaft zu. Kultur kann Zugänge zu anderen Welten eröffnen. Kultur ermöglicht den Perspektivwechsel und fördert dadurch das Verständnis für das Andere und Unbekannte. In einer globalisierten Welt ist kulturelle Kenntnis und kulturelle Kompetenz dringend geboten. Durch kulturelle Bildung wird das Zusammenleben unter dem gemeinsamen Dach »Deutschland «, »Europa« oder »Welt« erst umfassend möglich. Wir treten dafür ein, dass die ästhetischen Fächer und kulturellen Angebote in der Schule gestärkt werden. Kulturelle Einrichtungen in außerschulischen Bereichen – von der Bibliothek bis zum Probenraum – sollen allen offen stehen. Deshalb wollen wir hier in die Infrastruktur investieren und die kulturelle Teilhabe attraktiv machen.

Erinnerungskultur lebendig halten

Die Erinnerung an die Geschichte bleibt nur wach, wenn wir sie lebendig halten. Die Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen des Nationalsozialismus muss ihren Niederschlag in einer vielfältigen Erinnerungskultur finden. Diese ist umso wichtiger, als bald keine Überlebenden und Zeitzeuginnen und Zeitzeugen des Nationalsozialismus von ihrer Erfahrung berichten können. Wir GRÜNE sind deshalb dafür, dass neben den KZ-Gedenkstätten als Lernorten zivilgesellschaftliche Initiativen stärker gefördert werden und der Schulunterricht innovativer gestaltet wird. Nur so kann der Staffelstab der Erinnerung an kommende Generationen weiter gegeben werden. Auch die Geschichte der DDR als Unrechtsstaat muss weiter aufgearbeitet werden. Dazu ist die Stasi-Unterlagen-Behörde eine unverzichtbare Institution. Die Auseinandersetzung mit dem Leben in der DDR muss Bestandteil der schulischen Bildung in Ost- und Westdeutschland werden. Unser kulturelles Erbe ist ein Ort des Nachdenkens wie auch Zeugnis eines stetigen Wandels, den wir brauchen.

Auswärtige Kulturpolitik

Kulturpolitik ist Friedenspolitik. Auswärtige Kulturpolitik und internationaler Kulturaustausch gehören zu den wichtigsten Instrumenten für Völkerverständigung. Die auswärtige Kulturpolitik soll deshalb gestärkt werden, insbesondere die staatsfernen Mittlerorganisationen wie Goethe-Institut und Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD). Die Intensivierung des internationalen Kulturaustausches ist ebenso notwendig wie die stärkere Verzahnung von auswärtiger und innerer Kulturpolitik. Wir begreifen kulturelle Verständigung als Schlüssel für ein zusammenwachsendes Europa und für den notwendigen »Dialog der Kulturen« weltweit. Daher halten wir es für notwendig, dass sich Deutschland stärker in die kulturpolitischen Klärungs- und Entscheidungsprozesse der Europäischen Union einmischt.

Vielfältige Medienlandschaft

Der Zugang zu Informationen und Wissen ist für uns alle wichtiger denn je. Einen entscheidenden Beitrag zur Informations- und Wissensvermittlung leisten die Medien. Wir GRÜNE setzen uns für eine vielfältige Medienlandschaft ein, an der alle teilhaben können. Dies ist für uns Grundlage einer lebendigen Demokratie. Dazu gehören die Unabhängigkeit und Vielfalt der Medien, die Stärkung von Bürgermedien, Offenen Kanälen und Blogs und ein Internet-Breitbandzugang für alle.
Ob Fernsehen, Radio, Suchmaschinen, Blogs oder andere Internet-Inhalte: Meinungsvielfalt und Unabhängigkeit müssen immer den Vorrang vor Meinungsmacht und Monopolen haben. Pressefreiheit muss auch für Blogs und Foren gelten. Meinungsmacht muss an den Realitäten des Medienkonsums gemessen werden, das Fernsehen ist dabei längst nicht mehr allein ausschlaggebend.
Durch einen qualitativ hochwertigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der politisch unabhängig ist und bleibt, wollen wir die mediale Grundversorgung für alle gewährleisten – auch über das Internet. Neben der Verbreitung über das Internet kommt auch der Digitalisierung des Rundfunks eine besondere Rolle zu. Der digitale Übertragungsweg erlaubt, auf dem zur Verfügung stehenden Frequenzspektrum mehr Dienstleistungen und vielfältigere Programme anzubieten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss auch in Zukunft an technischen Neuerungen angemessen teilhaben, sowie deren Entwicklung und die Umsetzung aktiv mitbestimmen.

Wir wollen transparente Eigentumsverhältnisse in den Medien.

Mit Sorge sehen wir, wie die vielfältige Zeitungslandschaft in Deutschland unter immer stärkeren ökonomischen Druck gerät. Unsere Demokratie kann sich ein Marktversagen auf diesem Sektor nicht leisten. Gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Krise wollen wir deshalb helfen, dass die «vierte Gewalt” nicht immer mehr unter den Hammer kommt.

Sport, Spiel und Spannung für eine bewegte Gesellschaft

Kultur heißt auch Sportkultur. Miteinander gewinnen und verlieren können und in Gemeinschaft Sport treiben sind – neben der Bedeutung des Sports für die Gesundheitsprävention – wichtige Erfahrungen in allen Altersgruppen, die Aktivität und Miteinander stärken. Der Zugang zu Schwimmbädern und anderen sportlichen Einrichtungen darf sich nicht am Geldbeutel entscheiden. Wir brauchen eine neue Offensive beim Bau und Umbau von Sportstätten, und wir brauchen mehr Sportgelegenheiten in einer spiel- und bewegungsfreundlichen Umwelt. Ehrenamtliches Engagement im Sport wollen wir fördern. Durch den Sport werden weltweit Brücken gebaut und Verbindungen geknüpft. Wir fordern einen »sauberen«, doping- freien und fairen Spitzensport. Rassismus und Homophobie haben im Stadion nichts verloren. Gemeinsam mit Verbänden, Vereinen, Stadienbetreiberinnen und Stadienbetreibern und Fans zeigen wir dem Hass die rote Karte.

Wer Grün wählt,
• … stimmt für eine Kulturpolitik, die anstößt.
• … fördert die kulturelle Stärkung von Städten und Regionen.
• … schafft bessere steuerliche und rechtliche Rahmenbedingungen für Kulturschaffende.
• … stärkt die kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche.
• … sorgt für eine vielfältige Medienlandschaft, an der alle teilhaben können.

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