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15Jan

Teilen und Tauschen braucht Wahl-Freiheit – Ohne eine Rückbindung an soziale Verantwortung wird die Idee des kostenlosen Weiterverbreitens im Internet zu einer neoliberalen Leerformel

Gastbeitrag von Helga Trüpel erschienen in leicht veränderter Form in der Frankfurter Rundschau/Berliner Zeitung vom 21.12.2012, S.10 (http://www.fr-online.de/meinung/gastbeitrag-teilen-und-tauschen-braucht-freiheit,1472602,21160456.html)

In der Urheberrechtsdebatte tobt seit geraumer Zeit ein wahrer Kulturkampf zwischen Verfechtern des Status quo und denjenigen, die mit der Macht des Faktischen der digitalen Realität argumentieren. So hat sich der Streit um die Urheberrechtsreform extrem emotionalisiert. Verständlich, geht es einerseits doch um die Frage, wie in der digitalen Welt professionelle, kreative Arbeit nachhaltig finanziert und kulturelle Vielfalt aufrechterhalten werden kann. Aber andererseits auch darum, wie eine breite kulturelle Teilhabe und ein höchstmögliches Datenschutzniveau zu gewährleisten sind. Nach Jahren des heftigen Clinches, auch zwischen Netz- und Kulturpolitikern, könnte die Klärung des zentralen Begriffs des „Sharings“ in der digitalen Welt zum Finden neuer Kompromisse führen.

In der Welt der digitalen Revolution gilt Geistiges Eigentum Vielen als Innovationshindernis. Aus kulturpolitischer Sicht ist es hingegen ein verteidigenswertes Konzept für den Schutz der Urheber, für die Nachhaltigkeit kreativer, intellektueller Arbeit, ohne das kulturelle Vielfalt gefährdet wäre. Das Urheberrecht garantiert Kreativen kein Einkommen, aber es ermöglicht es. „Sharing is caring“, teilen ist Fürsorge, das auf den ersten Blick so sozial anmutende Motto der Netzgemeinde – von den Piraten bis zu den Akteuren der digitalen Allmende –– muss vor diesem Hintergrund hinterfragt werden.
Denn ohne eine Rückbindung an soziale Verantwortung, Beteiligung und Transparenz wird der Leitspruch des kostenlosen Weiterverbreitens im Netz zur neoliberalen Leerformel. Denn im Gegensatz zur analogen Welt, so die Argumentation, würde in der digitalen Welt der Immaterialgüter ja niemanden etwas weggenommen, da nur etwas kopiert und damit alle nur gewinnen würden. Die Commons-Aktivistin Silke Helfrich spricht in diesem Zusammenhang in Bezug auf das Urheberrecht in der digitalen Welt von „künstlicher Unternutzung“ und „Einhegung“. Der Logik der Knappheit müsse eine Logik der Fülle entgegengehalten werden, so das Lob der Kopie und die Verheißung des digitalen Schlaraffenlandes.

Bleibt man allerdings einen Augenblick bei den Commons bzw. Gemeingütern stehen, lässt sich festhalten: Auch die gemeinschaftliche Nutzung der Commons bedürfen sehr wohl, zumindest in den Überlegungen von Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom, fester Regeln und Sanktionen, die von allen Beteiligten, die von einer Ressource berührt sind, akzeptiert werden. Dies kann im Rückschluss auf die digitale Welt jedoch nur bedeuten, dass dies sowohl auf die Nutzer als auch die Urheber und Verwerter zutrifft. In der Sprache der Commons könnte man daher sagen, gerade weil die kreative Ressource in der digitalen Welt die Interessen der Urheber direkt berührt, kann es kein digitales Institutionendesign und keine digitale soziale Praxis geben, die ohne die Berücksichtigung der Urheberinteressen auskommen, denn es muss „nach dem Empfinden aller fair“ zugehen, wie die Commons-Bewegung immer wieder betont.

Da die Verwerter, also Verlage, Musikfirmen, Filmproduzenten, Radio und Fernsehen, Urheber oft schlecht vergüten, sie zwingen, alle ihre Rechte zu verkaufen, hatte die Netzgemeinde mit dem Vorwurf der „Content Mafia“ und deren Verwerterinteressen leichtes Spiel.

Das muss die Kreativen, Künstler und Medienschaffenden, die von ihrer geistigen und kreativen Arbeit leben wollen, massiv stören und das tut es auch. Wenn sich Künstler für Creative Commons entscheiden und ihre Werke gratis zum Download oder zum Streamen anbieten, ist das völlig in Ordnung, und vor allem die Verwertungsgesellschaften sind gefordert, gemeinsam mit den Urhebern hier neue Lösungen zu entwickeln. Aber anstatt aus der schlechten Stellung der Urheber den Verwertern gegenüber ihre Besserstellung zu fordern, was die richtige Forderung wäre, hat die Netzcommunity das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und argumentiert, wenn die Urheber sowieso von den gierigen Verwertern nichts bekommen, so ist es doch richtig, ihre Werke im Internet zu teilen, zu verbreiten und die Künstler so wenigstens bekannt zu machen. Natürlich ist es essentielles Interesse von Autoren, Musikern oder Filmemachern möglichst breit rezipiert zu werden. Aber es kommt eben auf die Bedingungen an. Was den Nutzern als Überwindung der künstlichen Verknappung der begrenzten Ressourcen der analogen Welt gilt, als Jubel über das Ende der Ressourcenknappheit, bedeutet de facto eine Erzwingung der Knappheit auf Seiten der Urheber, weil ihnen Selbstbestimmung enteignet wird. Es braucht also die Anerkennung, dass manche Urheber ihre Werke freiwillig und umsonst ins Netz stellen und es braucht die Anerkennung, dass viele Urheber das nicht wollen, weil sie ihr Werk nicht umsonst abgeben oder nicht zum Remixen freigeben wollen. Jede faire Reform des Urheberrechts muss also auf Wahlfreiheit basieren

Eine generelle Fair-Use-Regelung für nicht-kommerzielle Bearbeitung und Verbreitung, wie sie etwa Harvard-Professor Lawrence Lessig fordert, missachtet das im Urheberrecht verankerte Selbstbestimmungsrecht der Urheber. Es würde allen Nutzern ohne die Zustimmung der Urheber erlauben, deren Werke zu bearbeiten und zu publizieren. Dennoch müssen Lösungen dafür gefunden werden, kreative Inhalte und Ideen zu fördern und das Teilen, Tauschen und Remixen als neue soziale und kulturelle Praktiken in der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts zu ermöglichen. Deshalb gilt es, auch für das Sharing innovative Modelle jenseits der Sharing-Monopolisten wie YouTube zu finden. Das Verhältnis zwischen Sharer und Urheber sollte wieder ein auf Gegenseitigkeit beruhendes werden, das sowohl die Reputation des Teilens als auch das Recht auf Vergütung des Urhebers abdeckt, denn das Leitmotiv der Netzgemeinde „Sharing is caring“ muss um ein „Who shares back?“ ergänzt werden.

Vorschläge hierfür wären etwa die Etablierung von „Sampling-Portalen“, wo Urheber ihre Werke und unterschiedliche Werkkategorien unter bestimmten Bedingungen selbst zum Remixen freigeben könnten; oder die Einführung eines europäischen Werkregisters mit entsprechenden Lizenzen und digitalen Wasserzeichen, um Rechteinhaber korrekt auszuweisen und anonyme Nutzungssamples zu realisieren, die als Grundlage für eine Verteilung zusätzlicher Einnahmen aus der transformativen Werknutzung verwendet werden könnten.

Ein stärker eingegrenztes Modell einer Pauschalabgabe für sogenanntes privates filesharing, also eindeutig nicht kommerziell und ohne Werbung, wird noch untersucht. Es müsste sichergestellt werden, dass auch dieses Modell einer gesetzlichen Pauschalabgabe legale Angebote und Geschäftsmodelle wie zum Beispiel Spotify oder Simfy nicht kanibalisieren würde. Erstrebenswert wäre ein transparentes Beteiligungsverfahren mit dem Ziel, die Künstlern und Urheber selbst entscheiden zu lassen, ob sie mit der Idee einer Pauschalabgabe für den nicht-kommerziellen Tausch einverstanden sind oder nicht.

Der politische Streit wird also auch in 2013 um die Richtungsentscheidung gehen, ob man mit vereinfachten Lizenzierungen arbeitet, wofür ich eintrete, oder mit Schrankenausweitungen des Urheberrechts. Die EU-Kommission hat sich jetzt für die Vereinfachung von Lizenzierungen im europäischen Binnenmarkt entschieden. Demnächst will sie europaweit alle Interessengruppen in einem weit angelegten Stakeholder-Dialog zu diesem Ansatz befragen. Auf die Ergebnisse kann man gespannt sein.

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