Vorschlag für Arbeitsschwerpunkte der nächsten Sitzungen der BAG-Kultur
Vorbemerkung
In der BAG Kultur sind vor allem Kommunal- und LandeskulturpolitikerInnen zusammengeschlossen. Diese sind gegenwärtig in ihrer alltäglichen Arbeit immer wieder mit der besonders prekären Situation der Kulturetats und den damit zusammenhängenden Anforderungen von Mittelkürzungen, Einrichtungsschließungen, Prioritätensetzungen, Strukturreformen von Kulturinstitutionen etc. konfrontiert. In der letzten Zeit waren BAG-Sitzungen meines Erachtens zum einen oft überfrachtet mit zu vielen Themen, so dass vieles nur angesprochen aber nicht ausführlicher diskutiert werden konnte. Zum anderen dominierten zumindest teilweise Themen von allgemeiner kulturpolitischer oder bundeskulturpolitischer Bedeutung, aber die kommunale Ebene als Ort der praktischen Alltagsarbeit von KulturpolitikerInnen kam demgegenüber etwas zu kurz. Viele Themen sind wichtig für die Bundeskulturpolitik, aber nicht unbedingt für die praktische Kulturpolitik und Kulturförderung in den Kommunen und Ländern.
Vorschlag
Mit den folgenden Überlegungen, die gemeinsam mit den drei BAG-SprecherInnen sowie mit Rainer Bode und Volker Schäfer am 22.10. in Frankfurt andiskutiert worden sind, schlage ich vor, die nächsten drei bis vier BAG-Treffen stärker auf Themen kommunalen kulturpolitischen Handelns zu focussieren.
Dabei geht es zum einen um allgemeine oder verallgemeinerbare Fragen des Umgehens mit den gegenwärtigen „Einsparzwängen“ in den Kommunalhaushalten. Diese gehen über die finanzielle Dimension weit hinaus und thematisieren Grundfragen bündnisgrüner Kulturpolitik. Eine Status-quo-Verteidigungspolitik und die „Kampf dem Kulturabbau“-Rhetorik – vor allem, wenn sich nicht auf die Oppositionsrolle beschränkt wird – greifen hierbei zu kurz. Es geht um inhaltlich begründete Prioritätensetzung und damit um die Frage des Selbstverständnisses von Kulturpolitik bündnisgrüner Akteure innerhalb und außerhalb der Parlamente.
Entlang welcher inhaltlicher Vorstellungen findet gegenwärtige Kulturpolitik statt bzw. sollte sie unseres Erachtens stattfinden? Worin besteht der „öffentliche Auftrag“ der Kulturförderung? Was gehört zur „kulturellen Grundversorgung“, die unberührt bleiben sollte? Was bedeutet die notwendige kulturelle Grundversorgung der unterschiedlichen Altersgruppen und Bildungsschichten für den Bestand und die Ansprüche an Kultureinrichtungen? Brauchen wir hierfür verbindliche, gesetzliche Festlegungen? Müssen wir nicht nur ostdeutschen sondern auch in westdeutschen Ländern umdenken hin auf eine Kulturpolitik der Schrumpfung? Wie können Orientierungspunkte für eine solche Kulturpolitik der „Schrumpfung“ aussehen, wenn sie nicht vermeidbar sein sollte?
Von der Kulturpolitik sind hierzu neue Antworten gefordert, die über das Agieren entlang persönlicher Vorlieben und Interessen hinausgehen und die inhaltlich-konzeptionellen Essentials bündnisgrüner Kulturpolitik betreffen.
Die zweite Dimension der gegenwärtigen „Finanzsituation“ besteht im notwendigen Umbau unserer Kulturlandschaft, in der Strukturreform der Kulturinstitutionen. Diese ist nicht allein aus den erwähnten finanziellen Gründen, sondern auch wegen der weit gehenden ästhetisch-kulturellen Veränderungen notwendig. Dabei geht es auch um das Zusammenwirken der verschiedenen kulturpolitischen und kulturellen Akteure, der öffentlichen, der privaten und der frei gemeinnützigen Träger und ihrer spezifischen Einrichtungen. Das betrifft die großen traditionellen Kultureinrichtungen in besonderem Maße, aber auch die neueren, mit den Grünen und den neuen sozialen Bewegungen entstandenen Kulturformen. Im Zentrum stehen aber die altehrwürdigen Kulturinstitute und hier besonders die Stadt- und Staatstheater, schon allein weil sie in den theatertragenden Städten zwischen 35 und 65 % der Kulturetats benötigen und alle anderen Einsparungen letztlich unwirksam bleiben, wenn hier nicht grundlegend reformiert wird. Was wir dabei allerdings führen müssen ist keine Verzicht- sondern eine Strukturdebatte.
Es sollte in den nächsten BAG-Sitzung meines Erachtens deshalb um zwei Schwerpunkte gehen:
- um die Debatte über die inhaltliche Zielsetzung von bündnisgrünnaher Kulturpolitik jenseits programmatischer Allgemeinsätze als Orientierung praktischen Alltagshandelns und
- um eine Strukturreform der Kultureinrichtungen, betrachtet auch im Rahmen der Reform des Wohlfahrtsstaates.
Thema ist also die konkrete Vermittlung inhaltlich konzeptioneller Zielsetzungen, strukturelle Reformen und praktischen Alltagshandelns.
Diese Aspekte getrennt zu diskutieren, wird m. E. fruchtlos bleiben, da sich in der gegenwärtigen Situation der Kulturpolitik drei Krisenphänomene überlappen, die finanzielle Krise der Kommunal- und Landeshaushalte, die konzeptionelle Krise kulturpolitischer Orientierung und Leitideen sowie die strukturelle Krise der Kulturinstitutionen. Wenn wir diese Debatte am konkreten Gegenstand kulturpolitischen Handelns in den Kommunen aber in einem theoretischen Verständnis führen, kann Kulturpolitik auch wieder im Kontext gesellschaftlicher Zielstellungen und inhaltlicher Wertvorstellungen diskutieren werden, woran es in der Vergangenheit öfter gemangelt hat. Gerade weil die gegenwärtige finanzielle Situation der Kulturpolitik so prekär ist und manches Erreichte zur Disposition steht, ist die perspektivische Debatte um Inhalte, Aufgaben und gesellschaftliche Legitimation von Kulturpolitik einerseits und um den strukturellen Umbau unserer Kulturlandschaft andererseits gegenwärtig so dringlich.
III. Ergänzende stichwortartige Thesen
- Die Situation der öffentlichen Haushalte, vor allem die der Kommunalfinanzen wird absehbar nicht besser bzw. wieder so „entspannt“, dass Kürzungs- und Einsparauflagen der Vergangenheit angehören. Denn inzwischen dürfte auch den letzten deutlich geworden sein, dass es sich bei der Finanznot der öffentlichen Haushalte nicht um eine konjunkturelle Krise oder die Abwälzung staatlicher Aufgaben auf die Ebene der Kommunen, sondern um eine strukturelle Krise handelt. Deshalb ist ihr allein mit dem Verkauf des „Tafelsilbers“ ebenso wenig beizukommen ist, wie durch steigende Neuverschuldungen oder auch die Gemeindefinanzreform. Absehbar ist, dass die Kommunen, aber auch die Länder den Bestand an öffentlichen Einrichtungen und der bisherigen Aufgabenerfüllungen in der bestehenden Form nicht weiter vorhalten können. Der gegenwärtig z.T. schmerzhafte aber noch immer unzureichende Umbau unseres sozialen Systems der Altersicherung, der Gesundheitsvorsorge und des Arbeitsmarktes legt ein beredetes Zeugnis der gegenwärtig notwendigen Reformen unseres Wohlfahrtsstaates, zu dem auch der Kulturbereich gehört, ab.
- Von diesem Umbau sind im steigenden Maße auch kulturelle Einrichtungen betroffen, auch im Sinne von Schließungen, Mittelkürzungen und veränderten Aufgabenbestimmungen. Die allgemeine gesellschaftliche Situation der Leistungseinschränkungen verschärft zudem den Legitimationsdruck auf die Kultureinrichtungen und die Kulturpolitik. Auch wenn es politisch gewollt wäre, die bisherigen Strukturen und das Niveau der Kulturlandschaft „zu halten“, wäre dies gegenwärtigen angesichts der Schließung von Kindergärten, Schwimmbädern und Sozialeinrichtungen gesellschaftlich schwer zu begründen. Mit Recht wird von wachsenden Bevölkerungsteilen danach gefragt, ob in dieser Situation „Theater sein muss“ (wie die Kampagne des Deutschen Bühnenvereins seit einigen Jahren propagiert), zumindest wenn es so teuer ist, wie die bestehende drei Sparten Repertoire- und Ensemble-Struktur des vielgerühmten „deutschen Theatersystems“ und wenn durch dessen Erhalt andere Formen kommunaler Theater- und Kulturarbeit gefährdet sind oder nicht mehr gefördert werden.
- Dieser Tendenz der Einsparzwänge und Umbaumaßnahmen im Kulturbereich scheint zu widersprechen, dass gleichzeitig Geld für teure Neubauten vorhanden ist, wie etwa die verschiedenen Konzerthäuser im Ruhrgebiet, das neue Erfurter Theater oder immer noch zahlreiche Museumsneubauten. Der alte Wunsch von Landes- und Kommunalpolitik sich mit Kunst zu schmücken und dies für repräsentative Zwecke zu nutzen, scheint immer noch in der Lage zu sein auch in angespannten finanziellen Zeiten Gelder in größerem Umfang für kulturelle Prestigeprojekte zur Verfügung zu stellen.
- So richtig es sicher in vielen Fällen ist, gegen die Einsparzwänge im kulturellen Bereich Protest anzustimmen und zu versuchen, Kürzungen weitesgehend zu vermeiden, so wäre es verkehrt, eine solche Politik des „Kampf dem Kulturabbau“ zur Hauptlinie in der Kulturpolitik zu machen. Abgesehen davon, dass das auch nur von der Oppositionsbank aus möglich ist. Einsparungen, vor allem auch im Sinne eines Rückbaus, können nicht nur notwendig sein, sondern auch vernünftig – auch wenn das zu denken uns gegenwärtig noch schwer fällt. Eine solche Position ist sicher zu Recht strittig und sollte ausführlich diskutiert werden. Nicht strittig sollte aber sein, dass dem Widerstand gegen die Kürzungen nicht versucht wird dadurch Schubkraft zu geben indem mit jeder Kürzung einer Kultureinrichtung die Gefahr des Versinkens in der Barbarei heraufbeschworen wird.
Viele kulturelle Akteure vor allem in den großen Häusern wiegen sich trotz der gegenwärtigen vielfach prekären Situation doch noch in relativer Sicherheit und vertrauen auf die in manchen Fällen mehrhundertjährige Tradition ihre Kultureinrichtung. Es fehlt ihnen an Selbstreflexivitäten bezogen auf ihre Arbeit im Kontext der weltweiten gesellschaftlichen Umbrüche, der kulturellen Modernisierungsprozesse und der veränderten kulturell-künstlerischen Präferenzen der Menschen. Jede Rettung einer Institution ist für die Akteure ein Erfolg, bedeutet aber in Zeiten knapper werdender Mittel auch gleichzeitig eine Entscheidung gegen andere Kulturprojekte, die nicht in den Genuss einer Förderung kommen oder gekürzt werden. Deutlich werden muss, dass heute die Fragen unserer zukünftigen kulturellen Landschaft radikaler gestellt werden und dass Verweisen auf lange Traditionen kein hinreichender Grund für Kulturförderung ist.
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