Weiter zum Inhalt
17Mrz

Grundsatzprogramm von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das Grundsatzprogramm wurde auf der Bundesdelegiertenkonferenz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am 15. – 17. März 2002 im Berliner Tempodrom beschlossen.
Wir dokumentieren hier wichtige Auszüge zur Kulturpolitik.

V. Kultur (S. 106 ff)

Kultur ist Lebenselixier. Sie ist gerade in einer Welt wachsender Unübersichtlichkeit von herausragender Bedeutung. Kultur entsteht in der Auseinandersetzung der Menschen mit ihrer Umwelt, mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft. In vielfältigen Ausdrucksformen reflektiert die Kunst Erfahrungen, die Menschen mit sich selbst, mit der Natur und der Gesellschaft machen. Sie bietet normative und ästhetische Orientierungen für das Leben der Einzelnen und der Gesellschaft.

Kultur und Selbstbestimmung

Kulturelle Vielfalt, künstlerische Freiheit, der Zugang zu kultureller Bildung sind zentrale Voraussetzungen für Freiheit und Selbstbestimmung. Der Kulturbegriff hat sich erweitert. Die Vielfalt kultureller Sparten und die wechselseitige Durchdringung verschiedener Kulturen finden ihr Spiegelbild in den Lebensformen und Lebensstilen moderner Gesellschaften. Die Durchlässigkeit und Vermischung der Kulturen als untrennbarer Bestandteil der Globalisierung schlägt sich in jedem persönlichen Lebensentwurf, in jeder Stadt und auf jeder Homepage nieder. Der Kunstbegriff ist offen und muss vor staatlichen Zugriffen und Vereinnahmungen geschützt werden. Die Definition von Kunst ist – nicht nur unter den Künstlerinnen und Künstlern selbst – seit jeher umstritten. Dieser Streit ist offen zu halten und kann nicht politisch entschieden werden.

Kulturelle und technische Innovationen sind in modernen Gesellschaften auf vielfache Weise verwoben. Kulturelle Offenheit fordert zu einem offenen und abwägenden Umgang mit den neuen Kulturtechniken in elektronischen Medien heraus. Kultur und Kunst geben auch solchen neuen gesellschaftlichen Entwicklungen Ausdruck und Interpretation.

Kultur und Demokratie

Kulturschöpfungen und kulturelle Präsentationen bieten starke Antriebskräfte hin zu einer freien und demokratischen Gesellschaft. Die formsuchende und formgebende Dynamik der Kunst ist unverzichtbarer Bestandteil einer lebendigen Demokratie.

Gegenseitiger Respekt, Anerkennung der persönlichen Integrität des Anderen, Entfaltung der intellektuellen, ästhetischen und sinnlichen Begabungen, Offenheit für das Abweichende, Marginalisierte und Ausgeschlossene sind wesentliche Elemente einer bündnisgrünen Kulturpolitik. Politik muss sich für die Pluralität der Lebensstile öffnen und die Verallgemeinerung eines Lebensstils oder einer vermeintlichen Leitkultur zu Lasten anderer verhindern.

Gerade für die heranwachsende Generation sind frühe und intensive Begegnungen mit Kultur und Kunst und das Erfahren von Toleranz, Neugier und Selbstvertrauen in die eigene Kreativität von herausragender Bedeutung.

Eine Akzeptanz der Kulturpolitik durch junge Menschen setzt voraus, dass sie ihre Lebensformen und Lebensstile in der Politik wiederfinden.

Weil die Frage, wie wir leben und wie wir leben wollen, vor allem auch eine Frage der Kultur ist, so ist der Wechsel zu einer ökologisch verantwortlichen Lebensweise auch eine Frage von Kunst, Kultur und Kulturpolitik. Die Frage nach unserer Zukunft verbindet Kultur und Nachhaltigkeit.

Kulturförderung als öffentlicher Auftrag

Aufgabe der öffentlichen Kulturpolitik ist es, kulturelle Aktivitäten und künstlerische Betätigung für möglichst viele Menschen zu ermöglichen. Dabei geht eine demokratische Kulturpolitik von der Gleichberechtigung vielfältiger kultureller Bedürfnisse der verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Nationalitäten in Deutschland sowie von der Gleichwertigkeit von traditionellen Kulturinstitutionen, neuen innovativen Kunstformen und freien soziokulturellen Projekten aus. Unsere Aufmerksamkeit gilt auch der Förderung von Sprachen und Kulturen der autochthonen Minderheiten, wie z. B. der Sorben.

Die Bundesrepublik Deutschland hat mit ihrer föderalen Struktur einer vor allem durch Kommunen und Bundesländer finanzierten Kulturförderung eine weltweit bemerkenswert vielfältige Kulturlandschaft geschaffen. Darüber hinaus ist eine stärkere Rolle des Bundes in der Kulturpolitik wünschenswert, um dadurch die Förderung von Kunst und Kultur auf eine breitere Basis zu stellen und die internationale Wahrnehmung zu intensivieren. Deshalb befürworten wir in ausdrücklicher Anerkennung der Kulturhoheit der Länder, die Kulturpolitik auf der Bundesebene aufzuwerten und die Kultur als Gemeinschaftsaufgabe im Grundgesetz zu verankern, um ihrer gewachsenen Bedeutung gerecht zu werden.

Es ist eine zentrale Aufgabe unserer Politik, Freiräume für Kunst und Kreativität zu sichern und zu fördern. Kultur und Kunst gehen von den Menschen aus, nicht vom Staat. Der Staat hat die Aufgabe, den kulturellen und künstlerischen Anliegen in der Gesellschaft Raum zu geben und Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sie sich frei entfalten können. Mit einer so verstandenen Kulturpolitik fördert er die Entwicklung personaler und gesellschaftlicher Identität. Jugendkultur braucht Räume, um sich zu treffen und zu kommunizieren. Sie braucht Jugendzentren, Proberäume, Auftrittsmöglichkeiten, Clubs, Kinos und vieles mehr.

Bündnisgrüner Politik geht es darum, allen Gesellschaftsschichten und -gruppen den Zugang zu Kunst und Kultur offen zu halten.

Auch dort, wo sich kulturelle Bereiche selbst tragen, muss Kulturpolitik über die Gestaltung der Rahmenbedingungen fördernd tätig werden, zum Beispiel durch die soziale Sicherung von Künstlerinnen und Künstlern oder die weitere Gestaltung des Stiftungs- und Steuerrechts. Die öffentlich getragenen und finanzierten Kultureinrichtungen bilden gemeinsam mit dem privatwirtschaftlichen Kultur- und Kunstbereich und dem in den letzten Jahren stark gewachsenen frei gemeinnützigen Kultursektor die drei Säulen des bundesrepublikanischen Kultursystems. Eine offene Kulturpolitik darf kommerzielle Kulturangebote nicht primär als Gefahr sehen. Freie und privatwirtschaftliche Kulturproduzenten und -vermittler tragen wesentlich zur kulturellen Vielfalt bei. Ohne kulturelle Privatinitiative und individuelles kulturelles Engagement können Kunst und Kultur nicht überleben. Bundeskulturpolitik darf die Förderung hier nicht den Ländern und Kommunen, die den größten Teil der Kulturausgaben tragen, überlassen, sondern muss sich durch Förderung exemplarischer, herausragender Projekte auch vor Ort engagieren.

Kulturgut Sport

Sport ist ein wichtiges Kulturgut unserer Zeit. Bewegung, Spiel, gemeinsam Erlebtes, Erfolge und die Verarbeitung von Niederlagen fördern das Selbstbewusstsein der Menschen. Sie tragen auch zur Entwicklung sozialer Kompetenzen, von Leistungsbereitschaft, tolerantem und fairem Verhalten sowie zu mehr bürgerschaftlichem Engagement bei. Dafür sind die Rahmenbedingungen weiter zu verbessern. Ehrenamtliches Engagement im Sport ist von hohem gesellschaftlichen Wert und deshalb in besonderer Weise zu stärken. Sport kann nur in einer gesunden und intakten Umwelt ausgeübt werden. Umweltverträgliche Sportausübung und umweltgerechte Sportstätten sind ein Ausdruck hierfür. Der Staat fördert auf allen Ebenen gemäß seiner Zuständigkeiten Breiten- und Gesundheitssport, Behindertenwie auch Spitzensport. Die öffentliche Förderung für den Sport ist nur dann gerechtfertigt, wenn Sport und Training nach humanen Prinzipien, fair und ohne Doping betrieben werden. Die Gesundheit der Sportler muss im Vordergrund stehen.
Kultur der Stadt – Kultur im ländlichen Raum

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen für die Förderung einer vielfältigen Stadtkultur. Die europäische Stadt war die Wiege der Demokratie, der Selbstverwaltung der öffentlichen Angelegenheiten durch die Bürgerinnen und Bürger. Zu den urbanen Traditionen, die wir bewahren und weiterentwickeln wollen, gehört die Offenheit der Stadt für neue Ideen, für Zuwanderung und die Vielfalt von Lebensstilen und Kulturen, gehört ihre dichte politische und kulturelle Öffentlichkeit und das gleichberechtigte Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft. Die Städte müssen ihre Identität als Handels-, Kultur- und Kommunikationszentren bewahren und fortentwickeln – mit lebendigen Innenstädten und Stadtteilen, unverwechselbarer Baukultur, städtebaulicher Eigenart und Nutzungsvielfalt und einem regen gesellschaftlichen Leben.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN treten für die Erhaltung und Pflege kultureller Äußerungen und Lebensformen des ländlichen Raums ein. Nachhaltiger und sorgsamer Umgang mit der Natur als selbstverständlichem Teil der Kultur sind im ländlichen Raum vielfältig ausgeprägt. Lokales Brauchtum und sprachliche Besonderheiten sind ein wichtiger Teil unserer kulturellen Wurzeln. Die Kultur im ländlichen Raum lebt im Spannungsverhältnis ihrer eigenen Traditionen und der Begegnung mit aktuellen Entwicklungen. Kultur wird zum wichtigen Identifikationsmerkmal in der Region, wenn es dem ländlichen Raum gelingt, seine Eigenständigkeit zu erhalten und nicht zum gesichtslosen „Umland der Stadt“ abzugleiten. Deshalb ist es unsere Aufgabe, regionale Kulturlandschaften zu stärken und zu profilieren.

Ein vorausschauender Denkmalschutz soll bauliche Zeugnisse der Vergangenheit sichern und für neue Nutzungen öffnen. So wird die baukulturelle Geschichte den nachfolgenden Generationen weitergegeben. Wir wollen aber nicht nur Vergangenes bewahren, sondern ebenso den Dialog über zeitgenössische Bau- und Städtebaukultur pflegen.

Kulturelles Erbe

Wir müssen wissen, woher wir kommen, um zu wissen, wohin wir gehen. Die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte – insbesondere mit dem Nationalsozialismus – ist ein Fundament unserer Demokratie. Die historischen Orte mit Mahnmalen, Museen, Gedenkstätten, Archiven und Bibliotheken sind wichtige Lernorte lebendiger Erinnerungskultur, die uns Erfahrungen der Vergangenheit für zukünftiges Handeln bewusst machen.

Geschichte trägt sich gerade auch in der jeweiligen Nachbarschaft zu. Deshalb sind die vielen kleinen Initiativen und Einrichtungen, die die lokale Erinnerungskultur lebendig halten, durch Kommunen und Länder zu fördern. Die Bundesförderung für die an NS-Verbrechen und das Unrecht des SED-Regimes erinnernden Gedenkstätten ist unverzichtbar.

Zeugnisse der Vergangenheit sind eine Grundlage für das historische und kulturelle Gedächtnis der Gesellschaft. Sie machen immer wieder Erfahrungen der Vergangenheit bewusst und tragen zur Lebensqualität der Städte, Dörfer und Landschaften bei. Das bauliche Erbe ist Fundament für eine qualitätsvolle zeitgenössische Bau- und Städtebaukultur.

Kultur in Europa – Kulturen der Welt

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen eine aktive Begegnung der Kulturen der Welt. Dies trägt zu gegenseitigem Respekt, zu Anerkennung und Toleranz bei. Auf kultureller Ebene kann die Verständigung und Auseinandersetzung von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religionen und Lebenskonzepten in besonderer Weise gelingen. Keine der beteiligten Kulturen darf die andere beherrschen wollen. Kultureller Austausch ist unverzichtbar für ein tolerantes, friedliches Zusammenleben, und nur die Kulturen, die sich austauschen, bleiben entwicklungsfähig. Kulturpolitik ist Friedenspolitik.

Wir begreifen kulturelle Verständigung als Schlüssel für ein zusammenwachsendes Europa. Darüber hinaus ist der internationale Kulturaustausch im Rahmen einer aktiven auswärtigen Kulturpolitik weiter zu entwickeln.

Zur Kultur eines Einwanderungslands gehört die Offenheit gegenüber Menschen aus anderen Kulturen, Ethnien und Religionen. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der Begegnung der Kulturen und der Förderung von Kunst und Kultur der in Deutschland lebenden MigrantInnen. Ihre Kreativität ist eine Ressource, die gesellschaftliche Innovation hervorbringt. Interkultureller Dialog wird so zu einer gesellschaftlichen Bereicherung, die Erkenntniszuwachs bereitet und individuelles Selbstverständnis vertieft. Andere als gleichberechtigt gelten lassen zu können, setzt voraus, auch über Kenntnis und Wertschätzung der eigenen Kultur zu verfügen.

Bislang wurde kein Kommentar hinterlassen. Du kannst hier einen Kommtenar schreiben.
Hier ist die TrackBack URL und der Kommentar-Feed des Artikels. Du kannst den Artikel auch auf Twitter oder Facebook posten.

Schreibe einen Kommentar

Valides XHTML & CSS. Realisiert mit Wordpress und dem Blum-O-Matic -Theme von kre8tiv - Benjamin Jopen.
41 Datenbankanfragen in 0,804 Sekunden · Anmelden